Proverbia Iuris

Actio libera in causa

Die Actio libera in causa – eine Handlung, die ihrem Grunde nach frei ist – ist eine durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung geschaffene Rechtskonstruktion im Strafrecht, mit der ein Schuldvorwurf kraft Fiktion vorverlagert wird. Allerdings ist umstritten, ob die actio libera in causa mit dem grundgesetzlich geschützten Grundsatz des nulla poena sine lege in Einklang zu bringen ist, weshalb die deutsche Rechtsprechung die a.l.i.c. nur sehr eingeschränkt anwendet.

Die der actio libera in cause zugrundeliegenden Formen sind

  • actiones vel omissiones liberae in causa sive ad libertatem relatae, also Handlungen oder Unterlassungen, deren Ursache frei gesetzt wurde oder die auf Freiheit zurückgeführt werden können, sowie
  • actio libera in causa, sed non libera in actu, also Handlungen, bei deren Verursachung (in causa) der Täter noch freiverantwortlich handelte, nicht mehr aber bei der (späteren) Ausführung selbst (in actu).

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Die Funktionsweise der actio libera in cause[↑]

Nach § 20 StGB handelt derjenige ohne Schuld, der bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Diese Schuldlosigkeit führt seinerseits zu einer Straffreiheit des Täters, denn aufgrund des dem Strafrecht zugrunde liegenden Schuldprinzips können Täter, die schuldlos handelten, nicht bestraft werden.

Dies will nun die actio libera in causa in zwei Fallkonstellationen korrigieren:

  • Der klassische Fall der actio libera in causa (a.l.i.c.) ist derjenige der vorsätzlichen a.l.i.c., bei der sich der Täter vor Begehung der Tat vorsätzlich in einen Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB versetzt hat, um in diesem Zustand die Tat ohne Schuld und ohne Bestrafung begehen zu können. Über die Rechtskonstruktion der a. l. i. c. gelangt man hier gleichwohl zu einer Strafbarkeit wegen einer vorsätzlich begangenen Tat: wer sich etwa betrinkt, um einen Mord begehen zu können, kann sich nicht auf seine Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat berufen. Stattdessen wird ihm sein Entschluss zu dem Zeitpunkt angerechnet, als er noch nüchtern war und sich volllaufen ließ.
  • Daneben wird auch die Rechtsfigur einer fahrlässigen a.l.i.c. für solche Fälle diskutiert, in denen der Täter sich zwar nicht mit dem Vorsatz in einen Vollrausch versetzt, eine Straftat zu begehen, gleichwohl aber schon beim Berauschen den später in schuldunfähigem Zustand herbeigeführten Erfolg hätte voraussehen können und müssen. Auch in einem solchen Fall soll über die Rechtskonstruktion einer actio libera in causa die Anwendbarkeit des § 20 StGB ausgeschlossen werden.

Voraussetzungen der a.l.i.c.[↑]

Allgemein anerkannt sind drei Voraussetzungen für das Vorliegen einer actio libera in causa:

  1. Der Täter muss sich selbst in einen Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt haben.
  2. Er muss im Zustand der Schuldunfähigkeit eine tatbestandsmäßige Straftat rechtswidrig begangen haben.
  3. Und schließlich muss bei dem Täter zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch schuldfähig war (etwa bei Beginn des Besäufnisses), ein Vorsatz hinsichtlich beider Punkte (das Versetzen in einen Zustand der Schuldunfähigkeit und die rechtswidrige Begehung einer Straftat) bestanden haben.

Verfassungsmäßigkeit der actio libera in causa[↑]

In der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur ist umstritten, ob die Rechtskonstruktion der a.l.i.c. dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ – keine Strafe ohne Gesetz – und damit dem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG widerspricht. Hintergrund dieser Diskussion ist das Koinzidenzprinzip, wonach der Zeitpunkt von Tat und Schuld übereinstimmen müssen. Dies ist aber in den Fällen einer a.l.i.c. gerade nicht der Fall. Da eine solche Ausnahme nicht im Strafgesetz fixiert ist, widerspricht die a.l.i.c. dem Grundsatz nulla poena sine lege. Eine Bestrafung kommt daher in solchen Fällen nur wegem Vollrausches (§ 323a StGB) in Betracht, bei dem die Strafandrohung jedoch recht gering angesetzt ist.

Um dieses Ergebnis zu vermeiden, sind in der Rechtswissenschaft verschiedene Theorien entwickelt worden:

  • In der Rechtslehre weit verbreitet ist die Ausnahmetheorie, wonach in den Fällen der a.l.i.c. aufgrund des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Täters bei dem Versuch der unbilligen Ausnutzung eines Verfassungsrechts das Koinzidenzprinzip nicht gilt. Diese Ausnahmetheorie hält mittlerweile jedoch selbst ihr Begründer Joachim Hruschka für verfassungswidrig.
  • Einen anderen Weg geht die Vorverlagerungstheorie: Hierbei wird der Beginn der Tat auf den Zeitpunkt des Sich-Berauschens vorverlagert. Aufgrund dieses Kunstgriffes bleibt das Koinzidenzprinzip gewahrt, weil Zeitpunkt der Tat dann bereits der des Sich-Berauschens ist. Diese Konstruktion führt jedoch zu Widersprüchen mit den Grundsätzen zur Bestimmung des Versuchsbeginns bzw. des unmittelbaren Ansetzens zur Tat (§ 22 StGB), weshalb die Vorverlagerungstheorie von weiten Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur abgelehnt wird. Wird der Tatbeginn auf den Beginn des Trinkens vorverlagert, markiert dieser Zeitpunkt gleichzeitig auch den Zeitpunkt des Versuchsbeginns, so dass mit dem ersten Schluck die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten ist. Im Extremfall stellt damit auch ohne jeden weiteren Ansatz zu einer Tötungshandlung der erste Schluck bereits einen versuchten Mord dar.
  • Die Vertreter der Werkzeugtheorie bzw. der Lehre von der mittelbaren Täterschaft argumentieren, bei der a.l.ic. handele es sich um einen Spezialfall der mittelbaren Täterschaft, da sich der Täter durch das Sich-Berauschen zu seinem eigenen indolosen Werkzeug mache. Für die Vertreter dieses Ansatzes haftet der Täter daher als Täter in mittelbarer Täterschaft nach § 25 Abs 1, 2. Alt. StGB. Problematisch an dieser Argumentation ist jedoch, dass sie mit dem Wortlaut der in § 25 StGB enthaltenen Legaldefinition der mittelbaren Täterschaft – nämlich „durch einen anderen“ – nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Denn der Täter handelt hier gerade nicht durch einen andere Person, sondern selbst. Die Grenze der wörtlichen Auslegung markiert aber im Strafrecht stets auch die Grenze der erlaubten Auslegung.
  • Die in der Rechtswissenschaft derzeit verbreitetste Lösung, das Tatbestandsmodell, versucht dsas Problem durch einen Austausch der Tathandlungen zu umgehen. Die Vertreter dieser Tatbestandslösung sehen die Tathandlung in der Handlung, die zur Schuldunfähigkeit führt, also beispielsweise in dem sich betrinken. Durch den Austausch der Tathandlung gelingt diesem Ansatz bei einer Reihe von Delikten eine mit Art. 103 Abs. 2 GG konforme Lösung. Dieses Modell versagt jedoch stets dann, wenn das Strafgesetz nur eine bestimmte (nicht aus Betrinken bestehende) Handlung unter Strafe stellt.

Die a.l.i.c. in der deutschen Rechtsprechung[↑]

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat es bislang vermieden, sich eine der beschriebenen Ansätze zu eigen zu machen. Gleichzeitig lehnt der Bundesgerichtshof die Anwendung der a.l.i.c. bei allen eigenhändigen Delikten – insbesondere bei den Straßenverkehrsdelikten und den Aussagedelikten (Meineid, uneidliche Falschaussage) – ab.

Diese Ablehnung der a.l.i.c. bei allen verhaltensgebundenen Delikten begründet sich für den Bundesgerichtshof im Wortlaut der Straftatbestände: Da die Grenze der wörtlichen Auslegung gleichzeitig auch die Grenze der im Strafrecht möglichen Auslegung markiert, kann eine a.l.i.c. regelmäßig dann nicht in Betracht kommen, wenn das Gesetz eine bestimmte Handlung unter Strafe stellt. Wenn die strafbare Handlung gerade in dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder in dem falschen Aussagen besteht, kann das Trinken (oder die sonstige die Schuldunfähigkeit auslösende Handlung) dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllen.

Dagegen hat der Bundesgerichtshof bisher noch nicht zu der Frage Stellung genommen, ob er eine actio libera in causa bei reinen Erfolgsdelikten (wie etwa dem Totschlag, § 212 StGB) für möglich hält. Die vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fälle betrafen bisher stets nur Fahrlässigkeitsdelikte. Hier konnte der Bundesgerichtshof jedoch regelmäßig auf das Konstrukt einer a.l.i.c. verzichten, da er in seinen Entscheidungen stets an das pflichtwidrige, vorhersehbare Verhalten anknüpfte und bereits hierin den strafbaren Tatvorwurf erblickte. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur a.l.i.c. bei einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt steht dagegen noch aus.

Österreich und die Schweiz[↑]

Während in Österreich die Diskussion um die a.l.i.c. ähnlich der in Deutschland verläuft, hat die Schweiz die actio libera in causa gesetzlich verankert. Nach Art. 19 Abs. 4 des schweizerischen Strafgesetzbuches handelt der Täter nicht straflos und kommt ihm auch keine Strafmilderung zugute, wenn er die Schuldfähigkeit (oder die Verminderung der Schuldfähigkeit) vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen konnte.

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Intervise:
Actio illicita in causa
Omissio libera in causa
 

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