Aestimatio ist der lateinische Begriff für eine Schätzung.
Die aestimatio (eingedeutscht: Ästimation) bezeichnet in der Rechtswissenschaft zum einen die Regeln für die Quantifizierung eines Sachverhalts in Geld. Zum anderen versteht man hierunter aber auch die folgerichtige Ermittlung von Rechtsfolgen eines Geschehens.
Die Aestimatio im Zivilrecht[↑]
Im bürgerlichen Recht entwickelte sich schon früh der Rechtsgedanke der Unbezahlbarkeit persönlicher Schäden. Hieraus entwickelte sich die juristische Lehre, dass immaterielle Schäden nicht in Geld ersetzt werden könnten. Dieser Rechtsgedanke, das nur materielle Schäden ersatzfähig sind, gilt – mit Ausnahme des Schmerzensgeldes – auch heute noch, § 253 BGB.
- libertas est inaestimabilis: Die Freiheit hat keinen Preis. Freiheitsverletzungen können in Geld nicht abgegolten werden.
- liberum corpus nullam recipit aestimationem: Ein Freier Mensch lässt sich nicht in Geld schätzen. Für Körperverletzung kann nur Ersatz für Heilungskosten und Verdienstausfall gefordert werden, nicht für Schmerzen. Dieser Grundsatz ist heute überwunden, § 253 Abs. 2 BGB billigt heute für die Verletzung des Körpers oder der Gesundheit Schmerzensgeld zu.
- infinita aestimatio est libertatis et necessitudinis: Die Freiheit und die Angehörigen sind unbezahlbar. Für ihren Entzug kann kein Geld gefordert werden. Heute bestimmt dagegen § 253 Abs. 2 BGB, dass auch in diesen Fällen ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht.
Die Aestimatio im Strafrecht[↑]
Im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 StGB) bezeichnet „aestimatio ex post“ die Privilegierung der Tatzeitumstände im Verhältnis zu späteren Umständen: numquam crescit ex post facto praeteriti delicti aestimatio, ein Delikt darf auf Grund später eingetretener Ereignisse nicht schwerer bewertet werden.
Die Aestimatio im Prozessrecht[↑]
Im römischen Prozessrecht es üblich, bei der Klageerhebung das Ziel zu benennen, was dann den Gang des Prozesses spezifisch beeinflusste:
- Litis aestimatio – der „Geldprozess“ – bezeichnet jede prozessuale Handlung zur Geltendmachung einer Geldforderung anstelle eines anderen Anspruchs, der eigentlich nicht auf Geld gerichtet ist.
- Aestimatio capitis – die „Schätzung des Hauptes“ – bezeichnet bei Prozessen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Regel für die Bemessung der Geldbuße oder der Entschädigung, die sich im Wesentlichen an Rang, Würde und Person des Verletzten orientierte. Der Grundsatz der aestimatio capitis wurde insbesondere auch im englischen Recht lange Zeit angewandt. Im altdeutschen Recht hatten die „Wergelder“ eine ähnliche Funktion, die an den Verletzten oder seine Angehörigen gezahlt werden mussten, um ihnen das Recht auf Fehde oder Selbstrache abzukaufen.