Proverbia Iuris

Ius respicit aequitatem

Ius respicit aequitatem – das Recht achtet die Gleichheit – beschreibt den Gleichheitssatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

Der Gleichheitssatz beschreibt damit das naturrechtliche Prinzip, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind, es sei denn, die Ungleichbehandlung wäre durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.

Geschichtliche Entwicklung[↑]

Ausgehend von der christlichen Vorstellung der „Gleichheit vor Gott“ entwickelte sich in der Aufklärung die Forderung einer „Gleichheit vor dem Gesetz“, die in der französischen Revolution zu einem politischen Grundsatz wurde.

Der Gleichheitssatz fand schließlich auch Eingang in die von den Vereinten Nationen verkündete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die in ihrem Artikel 1 Satz 1 bestimmt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

Heute ist der Gleichheitssatz sowohl auf deutscher Ebene in Art. 3 GG wie auch im Rahmen der Europäischen Union Art. 20 der EU-Grundrechtecharta sowie Artt. 18, 157 AEUV verankert.

Der Gleichheitssatz in Deutschland[↑]

Das deutsche Grundgesetz kennt sowohl den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG wie auch eine Reihe spezieller Gleichheitssätze. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 GG verpflichtet die öffentliche Gewalt, wesentlich Gleiches rechtlich gleich und wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend rechtlich ungleich zu behandeln: Gleiche Fälle sollen gleiche Regeln treffen.

Daneben bestimmen die speziellen Gleichheitssätze, in welchen Fällen wesensmäßig Ungleiches rechtlich dennoch gleich zu behandeln ist (vgl. Artt. 3 Abs 2, 6 Abs. 1, 6 Abs. 5, 11, 21, 33, 38 Abs. 1 S. 1 GG).

Die Gleichheit vor dem Gesetz umfasst auch eine „Gleichheit vor dem Gesetzgeber“, Art. 3 Abs. 1 GG. Darüber hinaus ist der Gleichheitssatz (im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte) in besonderen Fällen – wie etwa dem Arbeitsrecht – auch im Verhältnis zwischen Privaten anwendbar.

Der Gleichheitssatz verbietet nicht per se eine Ungleichbehandlung, er verlangt aber, dass eine derartige Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muss. Demgemäß prüft das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes stets in zwei Schritten:

  1. Im ersten Schritt ist festzustellen, ob ein Fall der Ungleichbehandlung vorliegt, ob also durch die öffentliche Gewalt zwei miteinander vergleichbare Fälle ungleich behandelt werden.
  2. Sodann ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob (und wie) diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.

Nach der „Katzenstein-Formel“[1] (benannt nach dem Berichterstatter in dem Bundesverfassungsgerichtsverfahren, in dem die Formel erstmals verwendet wurde) des Bundesverfassungsgerichts muss für die Ungleichbehandlung ein „Grund von solcher Art und von solchem Gewicht“ vorhanden sein, „dass er die Ungleichbehandlung rechtfertigen kann“. Hiermit wird also eine strenge Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgenommen. Je intensiver die Eingriff in Grundrechte sind, je weniger ihnen der Bürger also ausweichen kann, desto strenger ist (im Rahmen einer abgestuften Kontrolldichte) die Bindung des Staates an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Insbesondere bei personengruppenbezogenen Differenzierungen ist daher regelmäßig von einer strengen Bindung des Gesetzgebers und der Verwaltung auszugehen.

Willkürverbot[↑]

Eine wesentliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist das allgemeine Willkürverbot, Art. 3 I GG, wonach der Staat nicht willkürlich wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich behandeln darf.

Will der Staat Sachverhalte derart ungleich behandeln, darf dies – im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens – nur anhand eines anerkannten Differenzierungskriteriums erfolgen. Hieran fehlt es, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die staatliche Maßnahme nicht finden lässt.

Im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielräume, dem gesetzgeberischen Ermessen, hat der Gesetzgeber jedoch

  • zunächst eine Zwecksetzungskompetenz bei der Wahl des zu verfolgenden Ziels und sodann
  • eine Einschätzungsprärogative bei der Auswahl des richtigen Mittels zur Verfolgung des von ihm angestrebten Ziels.

Soweit diese Ermessens- und Einschätzungsspielräume reichen, sind die Entscheidungen des Gesetzgebers jedoch nicht nachprüfbar, die gerichtliche Kontrolldichte mithin beschränkt.

Selbstbindung der Verwaltung[↑]

Besteht für die staatliche Verwaltung ein Ermessensspielraum oder ein Beurteilungsspielraum, so erstreckt sich der Gleichheitssatz auf die Verwaltungspraxis. Nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung muss eine Behörde – ungeachtet eines ihr zustehenden Beurteilungs- oder Emessensspielraums – im Rahmen ihrer Verwaltungspraxis tatsächlich gleiche Fälle auch rechtlich gleich behandeln. Sie darf mithin – unbeschadet einer möglichen generellen Änderung ihrer Verwaltungspraxis – nicht gleiche Fälle unterschiedlich behandeln, auch wenn beide Ergebnisse an sich noch von ihrem Beurteilungsspielraum oder Ermessenspielraum umfasst wären.

Ihre Grenze findet die Selbstbindung der Verwaltung nur dort, wo die von der Behörde geübte Verwaltungspraxis ihrerseits bereits rechtswidrig ist. Denn jede Behörde ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden, so dass sich ein Bürger nicht auf eine falsche Rechtsanwendung berufen kann. Es gibt mithin auch im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung keine Gleichheit im Unrecht.

Typisierende und pauschalierende Regelungen[↑]

Gesetzliche Regelungen, die eine Differenzierung nur auf ein Merkmal stützen sind als typisierende und pauschalierende Regelungen grundsätzlich zulässig, selbst sich hieraus im Einzelfall ergebende Härten sind hinzunehmen. Eine nicht gerechtfertigte Verletzung des Gleichheitsgrundssatzes – in der Ausprägung, das Ungleiches auch ungleich zu behandeln ist – kann hierin jedoch liegen, wenn die durch die Typisierung oder Pauschalierung auftretenden Härten nicht nur von unerheblichem Umfang sind und typischerweise in bestimmten Fallgruppen auftreten.

  1. BVerfGE 55, 72[]

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