Mit dem privilegium de non evocando – dem Privileg des nicht geladen Werdens – gab der Deutsche König bzw. Römisch-deutsche Kaiser ein Teil seiner Gerichtsgewalt an den jeweiligen Landesherrn ab.
Im mittelalterlichen Reichsverständnis konnten alle Rechtsstreitigkeiten vor den Römisch-deutschen Kaiser als obersten Richter des Reiches oder ein von diesem eingesetztes Gericht gebracht werden. Geschah dies, so wurde die Gegenseite vor das Gericht geladen. Mit einem privilegium de non evocando gestand der Kaiser nun einzelnen Landesherrn das Recht zu, dass deren Untertan nicht mehr vom kaiserlichen Gericht geladen wurden, so dass der Rechtsstreit zunächst vor den jeweiligen territorialen Gerichten des Landesherrn ausgetragen werden mussten. Die privilegierten Landesherrn hatten damit das ius de non evocando, das Recht, es ihren Untertan zu verbieten, sich unmittelbar an den Kaiser und die kaiserlichen Gerichte zu wenden.
Das privilegium de non evocando betraf jedoch nur die erste Instanz: Der Untertan musste sich nun zunächst an ein landesherrliches Gericht wenden. Nicht hiervon betroffen war dagegen das Recht eines Untertan, gegen das Urteil des territorialen Gerichts an den Kaiser bzw ein kaiserliches Gericht zu appellieren. Wollte ein Landesherr auch dieses Rechtsmittel der Appellation an den Kaiser ausschliessen, so bedurfte er zusätzlich noch des privilegii de non appellando.
Aber auch erstinstanzlich galt das privilegium de non evocando nicht unbeschränkt. So konnte sich ein Untertan in Fällen der Rechtsverweigerung stets an den Kaiser und die kaiserlichen Gerichte wenden, wenn also die Gerichte des Landesherrn es dem Untertan versagten, einen Prozess gegen einen anderen zu führen. Darüber hinaus hatten auch bestimmte Personengruppen, namentlich die Witwen, Waisen, Armen und Studenten, deren Schutzherr der Kaiser war, bestimmte überlieferte Sonderrechte, aufgrund derer sie sich trotz eines privilegium de non evocando auch erstinstanzlich an den Kaiser wenden konnten.
Bereits in der Golden Bulle war 1356 erhielten Kurfürsten das privilegium de non evocando. Mit der im Jahr 1495 erlassenen Reichskammergerichtsordnung wurde dann allgemein festgelegt, dass nur noch die Reichsstände selbst erstinstanzlich den Kaiser bzw. dessen Reichskammergericht anrufen konnten, während alle Untertan sich in erster Instanz an die territorialen Gerichte der Landesherrn wenden mussten. Mit Erlass der Reichskammergerichtsordnung von 1495 war damit das privilegium de non evocando von einem Privileg zu einem allgemeinen Prinzip der deutschen Gerichtsverfassung erhoben worden.
Intervise:
Privilegium de non appellando
Ius de non appellando
Ius de non evocando